Posted 11 August 2006 - 02:13 AM
@ Matthias:
Na ja, auf dauerhafte Auseinandersetzungen mit dezidierten Gegnern hätte ich auch nur sehr begrenzt Lust, obwohl es da wohl mehr auf den jeweiligen Gesprächspartner, das konkrete Thema und den Stil der Auseinandersetzung ankäme. Ich meinte halt nur, daß ein Diskussionsforum primär vom wechselseitigen Austausch unterschiedlicher Meinungen lebt und Imminst im allgemeinen und so auch der Regionalbereich im besonderen sind nun mal in allererster Linie Foren und keine Organisationen oder Gemeinschaften, die andere und gar verbindliche Aktivitäten organisieren. Und einen solchen Meinungsaustausch kannst du halt eben gleich auch an dem Ort führen, wo du bestimmte andere und eventuell positiv gesinnte Leute zuerst wahrnimmst oder näher kennenlernst. In diesem Zusammenhang kann man dann sicher auch mal auf dieses Forum hier hinweisen, aber wenn du das ohne konkreten inhaltlichen Bezug auf den jeweiligen Anlass, das persönliche Anliegen oder die persönliche Meinung deines Gegenübers machst, wirkt das ganz schnell genau wie jene Art von Werbung, die keiner so recht leiden kann, schon gar nicht der intelligentere Teil der Menschheit. Geht man allerdings tiefer auf den anderen ein, ob nun öffentlich oder per Private Message, wird das sehr schnell ziemlich zeitintensiv...
Ich persönlich glaube auch nicht, daß man bei einer so außergewöhnlichen, hoch umstrittenen und sämtliche Grenzen und Selbstverständlichkeiten sprengenden Idee wie ausgerechnet der extremen Langlebigkeit, der physischen Unsterblichkeit, davon ausgehen kann, daß es da tatsächlich schon so besonders viele Menschen gibt, die hier eine lupenreine, eindeutige und ungebrochen zustimmende Haltung besitzen. (Selbst wenn: gerade für DIE müsste man ja am wenigsten tun, die kümmern sich ja schon aktiv um das Thema und finden allein zu solchen Seiten und Projekten. Den Beitrag über De Grey und SENS schon letzten Sommer im SPIEGEL beispielsweise dürften über eine Million Menschen gelesen haben oder die kürzlichen Artikel auf SPIEGEL-Online über Kryonik und Kryobiologie dürften in einer ähnlichen Größenordnung liegen usw. Diese normale Berichterstattung müsste längst ausgereicht haben, um solche Leute auf den Weg zu schicken...) Stattdessen muß man mit dem allerhöchsten Ausmaß an Widersprüchlichkeit und Ambivalenz rechnen, mit Zustimmung im einen, Vorbehalt und Kritik im anderen, Widerstand und strikte Ablehnung im dritten Punkt etc., was sich dann spätestens auf der Ebene der Bereitschaft für irgendein tieferes praktisches Engagement entscheidend niederschlägt (und sei es nur bei der 'Aktivität' für den Klick mit der Maustaste).
Diese komplizierte individuelle Gemengelage im Hinterkopf rechne ich persönlich allerdings jetzt schon mit mindestens ein paar Hunderttausend und wahrscheinlich einigen Millionen Menschen allein für Deutschland, die 'unterm Strich' oder 'alles in allem' eine grundsätzliche Sympathie oder zumindest eine generelle Grunddisposition für den modernen Immortalismus aufweisen. Wenn laut repräsentativer Umfragen jeder dritte bis vierte Bundesbürger hundert Jahre alt werden möchte, vorausgesetzt, er ist gesund und zufrieden, dann scheint eine solche Zahl noch nicht einmal besonders hoch gegriffen. Gleiches gilt, wenn man sich z.B. das Ausmaß der fortschreitenden Säkularisierung anschaut - Faustregel: jeder zweite in den Großstädten ist nicht mehr konfessionell gebunden - während umgekehrt die historische wie aktuelle Stärke der traditionellen Religion darauf hinweist, daß irgendeine Form von Unsterblichkeitswunsch eine geradezu selbstverständliche und natürliche Tatsache darstellt. Die explizite Todesakzeptanz von bestimmten rationalistischen Atheisten ist dagegen eine extrem seltene und historische Ausnahmeposition.
Die angedeutete große Widersprüchlichkeit empfinde ich dabei als eine grundlegende Herausforderung für die kontinuierliche geistige Arbeit, insofern es um die tiefere Analyse verschiedenster Aspekte, Einwände, Grundannahmen und Schlußfolgerungen geht, die einen mehr rationalen Charakter tragen und die man widerlegen, klären oder zumindest relativieren kann. Eine solche Arbeit stößt natürlich an Grenzen, die mehr mit ganz persönlichen und unter Umständen hochirrationalen Motiven des jeweiligen Gesprächspartners oder Lesers zu tun haben, aber erstens muß man angesichts von 'letzten Fragen' auch nicht auf alles eine Antwort haben, zweitens braucht man ja auch nicht jeden zu überzeugen und drittens führe ich öffentliche Diskussionen in einem Forum grundsätzlich immer in dem Bewußtsein, daß andere und unter Umständen sehr viele unentschiedene Teilnehmer mitlesen und sich noch ihre eigene Meinung bilden. Ein bloßer Dialog wird meistens viel zu persönlich und kann man auch auf die Mail-Ebene verlagern, wie der viel größere Aufwand des Schreibens - im Unterschied zum Sprechen - sich meiner Meinung nach sowieso nur wirklich lohnt, je mehr man von sehr subjektiven Dingen absieht, um sich auf die allgemeineren und überpersönlichen Wahrheiten oder Aspekte zu konzentrieren. Die wirkliche Grenze einer bloß theoretischen Arbeit liegt dabei vor allem darin, daß die Macht von Ideen letztlich von der Stärke der sozialen Netzwerke bestimmt wird, die eine Idee tragen. Solche Netzwerke werden immer noch in allererster Linie im realen Leben gegründet und ausgebaut, im realen Kontakt konkreter Menschen (und nicht von virtuellen Avataren), weshalb der moderne Immortalismus sich auch erst dann wirklich entwickeln kann, wenn er einmal genauso gemeinschaftsbildend wirkt, wie es die traditionelle Religion schon immer gewesen ist.
Wollte man sich jedenfalls tatsächlich ausschließlich auf die sehr sehr wenigen Menschen konzentrieren, die - aus welchen Gründen auch immer - jetzt schon eine beinahe geschlossene Zustimmung zur Idee der körperlichen Unsterblichkeit aufweisen, würde man erstens nur die Früchte von anderen ernten, die sich die Mühe der Auseinandersetzung mit Gegnern und Unentschiedenen gemacht haben, würde sich zweitens das prinzipielle Ausmaß der kollektiven Zustimmung ja nie vergrößern, würde man drittens ein sehr geringes Selbstbewußtsein zum Ausdruck bringen, was den längerfristigen Widerstand und die Ablehnung nur zusätzlich provoziert, kann man sich das viertens gar nicht immer frei aussuchen und würde das schließlich fünftens auch eine völlig lebensfremde - hochindividualistische - Vorstellung der sozialen Realität widerspiegeln, denn alle potentiell Zustimmenden (wie natürlich auch die Kritiker) leben in sozialen Beziehungen, Gemeinschaften, kommunikativen Netzwerken aller Art, in denen sie mit ihren Überzeugungen bestehen müssen, aus denen heraus sie Unterstützung oder Ablehnung erfahren und in die hinein sie die Idee der Unsterblichkeit vermitteln müssen, und sei es nur, um ihres eigenen lieben Friedens oder ihrer eigenen Identität willen. Das ganze Problem wäre damit nur verlagert und delegiert, im Sinne des alten Prinzips 'den letzten beissen die Hunde'. Wer aber für solche Auseinandersetzungen letztlich um tiefste Grundfragen des menschlichen Selbstverständnisses z.B. hier auf Imminst keine kontinuierliche geistige, soziale oder emotionale Unterstützung erhielte, der hat seinerseits wiederum wenig Grund, Imminst oder seine Projekte zu unterstützen.