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Mutationen in der mitochondrialen DNA


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18 replies to this topic

#1 A941

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Posted 16 July 2005 - 04:42 AM


http://www.wissensch...ews/255458.html


edit by caliban: titel

Edited by caliban, 21 July 2005 - 12:55 PM.


#2 John Schloendorn

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Posted 16 July 2005 - 04:49 AM

Es gibt 100 Arten, etwas auszuloesen, dass wie vorzeitige Alterung aussieht. Jede wurde von der pop science Presse als der "Schlüsselfaktor" des Alterns gefeiert, und das wird wohl auch den naechsten 100 so ergehen.

#3 A941

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Posted 16 July 2005 - 05:06 AM

Sind wir zu optimistisch was die möglichkeit auf Lebensverlängerung angeht?

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#4 John Schloendorn

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Posted 16 July 2005 - 05:58 AM

Meiner Meinung nach sind viele Leute auf imminst im allgemeinen zu optimistisch, das ist ja nichts neues ;-)

Ich finde allerdings auch dass die, ueber 300 (!) verschiedenen Theorien des Alterns (Habe nachgeguckt, ich war wohl nicht mehr ganz auf dem neuesten Stand...) damit garnicht so viel zu tun haben. Theorien des Alterns zu studieren ist wie ein Automechaniker der versucht, die verschiedenen Reaktionsgleichungen der Chemie des Rostens in immer tieferen Details zu verstehen. Wenn er dem Autobesitzer etwas gutes tun will, sollte er lieber die verrosteten Teile auswechseln.

Wir muessen nicht einmal naeherungsweise verstehen wie und warum unsere Zellen altern, um sie auszuwechseln. Es genuegt, altersbedingte Schaeden zu erkennen, wenn wir sie sehen. Das ist gut. Trotzdem sind die Leute noch immer zu optimistisch. Teile auswechseln ist im Fall des menschlichen Koerpers ganz und garnicht so einfach!!

#5 A941

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Posted 16 July 2005 - 06:22 AM

Einzelne Zellen auswechseln?

Trotz des übertrieben Optimismus, wie schätzt du die Chance auf einen Erfolg ein?

#6 John Schloendorn

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Posted 16 July 2005 - 06:55 AM

Muss nicht einzeln sein. Kann man auch in Stuecken machen ;-) Oder durch halb-kuenstliche Sachen ersetzen. Paar Beispiele, damit klarer ist wovon wir reden... Einzeln waere bone-marrow transplantation, in stuecken tissue engineering und fuer kuenstlich hat man schon ziemlich coole Sachen mit Niere und Herz gemacht.

Die Chancen das das irgendwann fuer den ganzen Koerper gemacht wird ziemlich nahe bei 100%... Die interessante Frage ist wann. Da kann ich mich den Imminst members nicht anschliessen, wenn sie sagen "in spaetestens 30 Jahren". Ich sehe keinen Grund das zu vermuten. Daher kann ich keine eigene Schaetzung abgeben. Wenn ich trotzdem muss, wuerde ich grob sagen 30 bis 200 Jahre. Es gibt eben keine Moeglichkeit, es genauer zu sagen, solange es niemand ernsthaft versucht. Zu viele Variablen, ebenso technisch wie soziologisch.

#7 A941

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Posted 16 July 2005 - 10:10 AM

Gelegentlich (und das habe ich in einigen Posts bemängelt, leider finde ich weder die Antworten noch die Posts selber, vermutlich im alten Forum liegen geblieben)
scheint es mir hier religionsmäßig wenn nicht esoterisch zuzugehen.
Ich hoffe das reist nicht ein, das Thema ist zu ernst.
Was denkst du über die Möglichkeiten der Nanotechnologie?
Zuletzt ist ja der bau des sog Nanocopters gelungen:
http://www.trnmag.co...ler_120600.html

#8 John Schloendorn

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Posted 16 July 2005 - 10:35 AM

Erstmal: Ich verstehe nicht viel von der technischen Seite von Nanotech. Vielleicht gehe ich von etwas verzerrten Annahmen aus und bitte wenn dem so ist um Korrektur.

Die Nanotech Strategie scheint mir fuers erste unnoetig kompliziert. Die Idee scheint ja zu sein, so etwas wie eine komplett neue Technologie zu entwerfen, mit der man eine Menge kleine Roboter bauen kann die unsere DNA wieder geradebiegen, unseren intrazellulaeren Muell beseitigen, usw. und uns dadurch ewig jung halten.

Aber warum sollen wir denn all den Aufwand auf uns nehmen, so eine Technologie von Grund auf neu zu entwickeln? Es gibt sie doch schon laengst! In jedem Embryo werden die molekularen Schaeden des Alterns komplett beseitigt. Anderenfalls wuerde die naechste Generation ja alt geboren. Daher muss es logischerweise natuerliche Mechanismen geben, die unsere embryonalen Stammzellen vollstaendig und komplett verjuengen. Das tolle ist ja dass wir diese Mechanismen eben nicht nachbauen muessen, um lebende Menschen zu verjuengen. Wir ernten einfach die jungen Zellen und ersetzen unsere gealterten Zellen durch sie. Nur diese "Abkuerzung" gibt mir die Hoffnung das innerhalb der Lebensspanne heutiger Menschen zu schaffen.

Spaeter, wenn wir das Altern erstmal durch regelmaessige Stammzellkuren halbwegs unter Kontrolle halten koennen, werden wir Nanotech bestimmt gut brauchen koennen. Dann haben wir ja auch genug Zeit, es zu erfinden. Replikator-technologien werden wahrscheinlich mal extrem nuetzlich sein, um unsere Kontrolle ueber Materie und Energie zu erweitern und dadurch unter anderem auch die meisten nicht-altersbedingten Ursachen von Leiden und Tod auszuschalten.

Aber bis dahin haben wir leider leider erstmal dringlichere Probleme.

#9 Lothar

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Posted 20 July 2005 - 02:43 PM

@ John:
Diesen Artikel finde ich in seiner ganzen monokausalen Grundtendenz auch nicht besonders erfrischend oder auf der Höhe der Diskussion, denn es kann doch keinen Zweifel mehr daran geben, daß Altern ein multifaktorieller Prozess ist, der eine komplexe Lösung verlangt!? Diese Vielfalt und Komplexität wenigstens prinzipiell und annähernd theoretisch auf den Punkt gebracht zu haben, ist jedenfalls meines Erachtens gerade die Hauptleistung von de Greys SENS-Modell, und ich finde, neuere Meldungen insbesondere des sensationellen Typs müssten sich immer an den dort formulierten Einsichten messen lassen.

Aber hast du schon einmal an so einer alten Schrottkarre herumgeschraubt und versucht, dort alte Teile gegen neue zu ersetzen? Also ich schon, und auch wenn das schon viele Jahre her ist, kann ich mich an die damit verbundenen Probleme und frustrierenden Gefühle noch lebhaft erinnern, weil vor sich hinrostende Maschinenteile zu allen möglichen unberechen- und unkontrollierbaren Effekten führen, auf die man nur noch mit zunehmendem Aufwand und Improvisation reagieren kann. Allgemein gesprochen: Es kommt dabei zu einer Zunahme von Entropie, die sich immer schwerer beherrschen läßt, mit exponentiell ansteigender Tendenz. Der Vergleich mit einem PKW wird ja auch in der populären gerontologischen Literatur zur Veranschaulichung der evolutionären Logik des Alterungsprozesses im Kontext verschleißtheoretischer Konzepte angeführt und findet sich, glaube ich, gerade auch in Kirkwoods 'Zeit unseres Lebens', wenn ich mich nicht irre. Altern ist danach nicht genetisch programmiert o.ä., sondern spiegelt nur die mangelnde evolutionäre Anpassung an die nachreproduktive Phase eines Organismus. Mit dem PKW-Vergleich soll vor allem der 'ökonomische' Aspekt evolutionärer Anpassungsmechanismen verdeutlicht werden, die zu einer Bevorzugung der Fortpflanzung gegenüber der individuellen Langlebigkeit führen. Wie bei einem verrostenden PKW sei es aus der Sicht der Evolution ökonomisch effektiver, in Nachwuchs - bzw. in eine Neuanschaffung - zu investieren, wobei es auf der Ebene des PKW's tatsächlich um bare Münze geht, denn ab einem gewissen Punkt steckst du einfach keinen müden Euro mehr in so eine alte Karre, weil es ein Fass ohne Boden wäre.

Ein Unsterblichkeitskonzept, das auf permanente Reparatur setzt, wäre daher schon aus praktischen wie ökonomischen Gründen kein wirklicher Durchbruch sondern könnte bestenfalls kurzfristige Brückenfunktion entfalten. Von den psychologischen Faktoren ganz abgesehen, denn beim Auto und meinetwegen bei Fliegen, Würmern und Mäusen können wir vom 'Reparieren' reden, beim Menschen kommen andere Ebenen der Lebensqualität hinzu, die schon eine solche Sprache verbieten, wenn man größere Begeisterung für die Langlebigkeit wecken will. Die Menschen wollen ja nicht einmal das Rauchen für eine bessere Gesundheit aufgeben, wie wollte man sie da mit komplizierten, teuren, gefährlichen oder gar schmerzhaften etc. Folgen von Behandlungsmethoden konfrontieren, die auch noch in (un-)regelmäßigen Abständen wiederholt werden müßten!??

Die künstliche Stimulation körpereigener Regenerationskräfte scheint mir dagegen auch viel aussichtsreicher zu sein aber prinzipiell etwas anderes darzustellen. Man spricht zwar hier auch metaphorisch von 'Reparaturmechanismen' des Körpers oder der Zellen, aber für mein Gefühl handelt es sich da um etwas qualitativ anderes, als wenn wir mit verbesserten Transplantionstechniken oder neuen Möglichkeiten des tissue engineering von außen unvollkommen oder in ein nur mäßig verstandenes organisches System eingreifen. Vielleicht ist das auch nur eine Definitionsfrage oder ein Sprachproblem. Statt permanenter Reparatur kann meines Erachtens jedenfalls nur eine solche Strategie erfolgreich sein, die auf grundlegende Prävention der Altersphänomene in einem Frühstadium setzt. Auch hier noch einmal der Auto-Vergleich (den man aber auch nicht überstrapazieren sollte): jede Oldtimer-Parade demonstriert augenfällig, wie man durch ganz bestimmte und einfache Vorbeugemaßnahmen die Lebensdauer eines PKW's um ein Vielfaches über den Durchschnitt steigern kann...

Normalerweise finde ich deinen bzw. Aubrey de Greys Akzent auf die praktische Machbarkeit an Stelle der Grundlagenforschung konstruktiv und erfrischend, wenn ihr aber ins Gegenextrem fallt und es schematisch bis polemisch gegen jedweden Versuch wendet, die Zusammenhänge des Alterns tiefer zu erforschen, geht der ganze Argumentationsgewinn auch gleich wieder verloren. Tiefer betrachtet ist es sowieso ein Scheingegensatz, denn wenn du wissen willst, WIE man bestimmte biologische Prozesse gezielt und erfolgreich beeinflussen kann, mußt du natürlich vorab wissen, wie und WARUM sie grundlegend funktionieren. Umgekehrt kann man über den Versuch der gezielten praktischen Beeinflussung wiederum eine Menge über diese Grundlagen lernen etc. Mir scheint hier zunächst einmal der alte Gegensatz zwischen theoretisch und experimentell arbeitenden Forschern vorzuliegen, wobei ich es ziemlich kurios finde, daß ausgerechnet ein theoretischer Biologe wie de Grey eine solche Dauerpolemik bzw. ein Plädoyer für die experimentelle Arbeit und Überprüfung vorträgt. Auf einer tieferen Ebene ist es aber wohl gar kein wissenschaftliches oder methodologisches Problem sondern ein grundlegender Streit über den Sinn und die Richtung der biologischen Alternsforschung überhaupt. De Greys Betonung des 'wie' geht von der fundamentalen Wertsetzung aus, daß man den Alternsprozess überwinden muß, der Mainstream der biomedizinischen ist gegenüber diesem Ziel aber anscheinend indifferent bis ablehnend eingestellt. Das sollte man dann auch so benennen, und keinen irreführenden Nenbenkriegsschauplatz eröffnen.

Dankenswerter Weise hast du in deinen obigen Beitraegen hier ja bestimmte Äußerungen über die praktische Machbarkeit, die du in letzter Zeit in verschiedenen Strängen wiederholt hast, einschneidend relativiert. Man konnte ja sonst schon den Eindruck gewinnen, die vielen Forschungslabors und Entwicklungsabteilungen z.B. in den großen Pharmaunternehmen müßten nur noch auf all das 'ausreichende Grundlagenwissen' zugreifen, um mal eben schnell die Pille gegen das Altern übernächstes Jahr auf den Markt zu werfen. Man braucht sich da nichts vorzumachen, aber Wissenschaftler, die bestehendes Grundlagenwissen sofort praktisch umsetzen würden, stehen in ausreichender Zahl Gewehr bei Fuß, schon aus ökonomischen Gründen. Es hapert aber weiterhin am grundlegenden Verständnis des Alterungsprozesses, das wahrscheinlich gerade für ein umfassendes und zugleich einfaches und elegantes Präventionskonzept entscheidend wäre, auf dessen meines Erachtens vorrangige Stellung ich oben hingewiesen hatte. Die multifaktorielle Natur des Alterungsprozesses spricht aber - leider - erst einmal gegen die baldige Entwicklung eines solchen einfachen Mittels gegen das Altern.

Der Unterschied zwischen 30 und 200 Jahren ist übrigens der Unterschied zwischen Leben und Tod sämtlicher heutiger lebender Menschen, aber wahrscheinlich muß man gerade diesen existentiellen Unterschied herausarbeiten, wenn man die notwendige Ernsthaftigkeit für die zu lösenden Aufgaben erzeugen will. Deine 'optimistischste' Annahme von 30 Jahren schließt außerdem etwa die Hälfte aller lebenden Erwachsenen und drei Viertel bis vier Fünftel aller lebenden Entscheidungsträger der politischen, wirtschaftlichen, wissenchaftlichen und kulturellen Eliten aus, die in der Regel ein höheres Lebensalter jenseits der 50 besitzen. Solange der Immortalismus sich auf die biomedizinische Alternsforschung konzentriert, wird er daher weiterhin keinerlei Chance besitzen, wenigstens in Teilbereichen der Gesellschaft gesteigerte Zustimmung zu finden, und natürlich muß man erst einmal die kurzfristigeren und einfacheren Probleme, Bedrohungen und Lebensbeeinträchtigungen überwinden, bevor man sich den langfristigeren und komplizierteren zuwenden kann, siehe Hunger, Tsunamifolgen, Unfall-, Drogen- und Gewaltprävention, Fehlernährung, Irak-Krieg usw. usf.

@ 941:
Die biomedizinische Alternsforschung hat nach jahrzehntelanger Forschung noch keinen einzigsten Tag an Lebensgewinn bei der maximalen Lebenserwartung des Menschen zustande gebracht, weshalb die oft angeführten Vergleiche mit dem sonstigen allgemeinen wissenschaftlichen und technischen Fortschritt völlig irreführend sind. Sie besitzt weiterhin noch nicht einmal ein einheitliches Paradigma des Alterns sondern nur eine Unzahl heterogener Theorien und Erklärungsmodelle, wie John das ganz gut angedeutet hat. Darüberhinaus strebt die Mehrheit der Alternsforschung auch gar nicht das bewußte Ziel an, das Altern zu überwinden, was allgemein wenig bekannt ist und mir selbst im vollen Ausmaß erst in den letzen ein bis zwei Jahren so richtig klar geworden ist. Von der Tatsache, daß Altern bzw. altersbedingte Krankheiten nur EINE Todesursache in einem ganzen Spektrum ANDERER darstellt, ganz abgesehen ist der Optimismus, der teilweise hier im englischsprachigen Hauptforum grassiert, daher völlig unangemessen. Man kann optimistisch sein im Sinne einer Grundhaltung den Dingen des Lebens gegenüber, aber wer sich dadurch den Blick auf die Realitäten verstellen läßt, ist nicht optimistisch sondern illussionär, was im Grunde genommen der letztlich vergeblich bleibende Versuch darstellt, seine Ängste, Zweifel und Schwächen aggressiv abzuwehren, also das genaue Gegenteil.

Die Menschheit muß erst einmal kollektiv älter werden, d.h. mindestens in einem größeren privilegierteren Teil ein höheres und ohne Biotechnologie, Genforschung etc. längst machbares Durchschnittsalter erreichen, bevor sie sich tieferen Altersbarrieren zuwenden wird. In den wohlhabenden Ländern beträgt das statistische Durchschnittsalter gerade mal 75 bis 80 Jahre, also nur etwa zwei Drittel des heute schon wissenschaftlich-offiziell zugebilligten biologischen Lebenspotentials. Das heißt, Millionen von Menschen sterben sogar hier schon mit Anfang oder Mitte 60, vom übrigen 'Rest' der Welt ganz abgesehen! Wieso sollte die Menschheit also größere Schritte unternehmen, um tiefere Altersgrenzen zu überwinden, wenn nur die wenigsten Menschen so alt werden, daß sie in den potentiellen Genuß solcher aufwendiger neuer Errungenschaften kämen!??

Thema Religion: Religion ist der traditionelle Ort und Ursprung des Unsterblichkeitsgedankens, eine übersteigerte und generalisierte Form, sich für das Leben oder 'die Schöpfung' auszusprechen. Noch in jeder Dorfkirche wird sonntags für 'das ewige Leben' gebetet, während man irgendeine Form von immortalistischem Engagement bei säkularen Rationalisten mit dem Rasterelektronenmikroskop suchen muß. Stattdessen sind gerade agressive Atheisten oft die stärksten Todesakzeptanzprediger, was bei ihnen allein schon deshalb besonderes Gewicht hat, weil für sie - im Gegensatz zu den traditionell Religiösen - mit dem Tod alles aus ist. Unabhängig davon ist Religion die Form der Menschheit, ein inneres und soziales Verhältnis zu den letzen Dingen zu finden: Warum ist nicht nichts, warum sind die Naturgesetze, wie sie sind, was war vor dem Urknall oder eben was ist der Tod? etc. sind alles Fragen, die in diesen Bereich gehören. Es ist durchaus eine Religion denkbar, die das wissenschaftliche Denken integriert hat, während es nicht denkbar ist, daß Wissenschaft selbst je die Antwort auf alle Rätsel des Lebens und der Existenz finden wird. Daher kann Kritik der Religion immer nur Kritik an konkreten Formen des religiösen Ausdrucks darstellen, die sich historisch wandeln und immer wandeln werden. Kritisiert man dagegen Religion an sich, schafft man ein geistiges und soziales Vakuum für ein menschliches Grundbedürfnis und wird dafür u.a. mit George W. Bush nicht unter einer Amtszeit von 8 Jahren bestraft.

#10 A941

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Posted 20 July 2005 - 06:51 PM

Finde ich nicht.
Man muß unterscheiden zwischen einem Leben im "Jenseits" und einem hier auf der Erde, ersteres wird von der Religion verkauft und mit Gehorsam bezahlt, nicht selten führt dieser Gehorsam in den Tod im realen Leben.
Religion ist das weglassen von Denken, das Ersetzen von Verstand durch Glaube, nichts was dem Menschen etwas positives bringt.
Die meisten Religionen sind sowieso nur Totenkulte die das Leben in all seinen Formen ablehnen und sich der Askese widmen.

Bedauerlich ist, wie sie bereits anmerkten, dass unter uns Atheisten so wenige wert darauf legen etwas in die Richtung der Lebensverlängerung zu unternehmen.
Eine Haltung die wohl von der Einstellung kommt: "Alles was von Natur aus so ist wie es ist, ist gut, so wie es ist!"
Als ob der Tod, wie Canetti meinte, nicht bereits in solch erdrückender Übermacht vorhanden sei dass man auch noch für ihn plädieren müßte.

Was kann man gegen so ein Denken tun?

#11 A941

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Posted 21 July 2005 - 12:07 AM

@Lothar:
Wie schätzt Du persönlich die Chancen ein dass wir unsere Ziele erreichen?

#12 Lothar

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Posted 21 July 2005 - 12:48 PM

@ A941: Wie gesagt, ich habe kein Problem damit, bestimmte traditionelle und vorrationale Formen des religiösen Ausdrucks zu kritisieren, aber man sollte 'Religion' auch nicht vorschnell mit ganz bestimmten und global sicher noch herrschenden religiösen Bewegungen identifizieren. Da geht man den religiösen Machthabern gleich doppelt auf den Leim. Tatsache ist jedenfalls, dass man als Immortalist im alles entscheidenden Punkt der Unsterblichkeitsorientierung mit den traditionell religiösen mehr gemeinsam hat als mit den atheistisch-agnostischen Todesanbetern. Denk darüber noch mal nach, vielleicht unter psychologischen Gesichtspunkten, denn letztlich sind es sowieso (sozial-)psychologische Faktoren, die all' diese Gruppenphänomene beherrschen. 'Glauben' etwa ist auch nur eine Variante von Vertrauen, das aus den zwischenmenschlichen Beziehungen nicht wegzudenken ist, wie umgekehrt Wissen, Vernunft, Verstand Grenzen hat, die zu Unsicherheiten führen, mit denen man irgendwie fertig werden muß.

Mit der Jenseitsorientierung der traditionellen Unsterblichkeitskonzepte ist das auch so eine Sache. Zum einen macht man im Laufe seines Lebens so seine Erfahrungen über den Unterschied zwischen Theorie und Praxis bei den 'religiösen' Menschen, wenn's wirklich ans Sterben geht, zum anderen muß man die jeweiligen theologischen Bezugssysteme je für sich bewerten. Ungefähr eine Milliarde Hindus und Buddhisten und fast sämtliche westlichen Esoteriker sind mit der Idee der Reinkarnation verbunden, die ich manchmal salopp 'physische Unsterblichkeit mit Umsteigen' nenne. Im Zentrum des Christentums wiederum, das weitere zwei Milliarden Menschen auf diesem Planeten prägt, steht der Gedanke der körperlichen Wiederauferstehung, der zumindest eine höchst ambivalente Einschätzung des irdischen Daseins zum Ausdruck bringt etc.pp. Wollte aber hier ja keine off topic-Diskussion zum Thema Religion starten und habe das in entsprechenden Texten in FOREVER ja auch schon genauer ausgeführt...

Eine allgemeine Chanceneinschätzung kann ich nicht vornehmen, denn die Zukunft hängt von vielen unbekannten Faktoren ab. Ich halte schon die Frage für unproduktiv, denn zukünftige Entwicklungen - wie übrigens auch die persönliche Lebenserwartung - stehen nicht statisch fest, sondern werden u.a. vom eigenen Handeln und dem eigenen Engagement aktiv mitbeeinflusst. Mir hat Johns Alternative 30 vers. 200 Jahre aber gut gefallen, weil sie die existentielle Dimension der ganzen Thematik indirekt klarmacht. Die naturwissenschaftlich-technischen Optionen sind für mich persönlich bekanntlich nur ein Nebengleis, aber solange die gesellschaftlich weiterhin nur eine Priorität unter ferner liefen besitzen, ist es schwer vorstellbar, daß da in den nächsten Jahrzehnten etwas bahnbrechendes bei herauskommt. Wollte man an dieser Priorität etwas ändern, müßte man einen gesellschaftspolitischen, philosophischen und letztlich wohl auch religiösen Diskurs führen, denn biomedizinisch allein beißt sich die Katze ja dauernd in den Schwanz. (=Hoffen auf den großen wissenschaftlichen Durchbruch, um mehr Förderung für den großen Durchbruch zu bekommen etc.) Da sehe ich weit und breit wenig bis gar nichts. Das entscheidende beim Thema Religion, um noch mal darauf zurückzukommen, besteht aber in einer Gemeinschaftsbildung im richtigen Leben, bei der die Mitglieder in besonderer und emphatischer Weise verbunden sind, und solange der Immortalismus diese soziale und emotionale Qualität nicht erreicht, wird er keine großen Entwicklungssprünge machen, da sorgen schon die lebensverneinenden Todesanbeter für. (Ein anschauliches Beispiel hast du ja gerade wieder unter Ureda 2 verlinkt.)

PS: Ich habe gerade heute meine Terminseite aktualisiert, u.a. mit einem Hinweis auf eine Lesung und zwei Dokumentationen zu Elias Canetti. Vielleicht ist das ja was für dich.

#13 A941

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Posted 21 July 2005 - 02:57 PM

Tja, ich kann mich einfach nicht mit dem Gedanken anfreunden, mich mit den Religionen anzufreunden :-)
Ich bin eher dafür die Atheisten zu überstimmen als irgendwelche Leute die nicht in der Lage sind für sich selbst zu denken und Göttern nachlaufen die derart unmoralisch sind dass sogar div. Diktatoren gut wegkommen.

Ich persönlich denke das Problem ist eher ein europäisches, amerikanische Atheisten (zB Frank Zindler) haben bedeutend weniger Probleme in diese Richtung zu denken, außerdem wir sind hier ja ausschließlich Atheisten, oder?

#14 Lothar

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Posted 22 July 2005 - 01:15 PM

@ A 941: Ich habe meine Antwort in einem neu eröffneten Strang unter dem Titel 'Religion, Atheismus und Immortalismus' gepostet, weil das hier sonst zu weit vom Ausgangsthema wegführt:

http://www.imminst.o...=ST&f=80&t=7339

#15 John Schloendorn

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Posted 25 July 2005 - 05:40 PM

Lothar,
Die alte Debatte "Stimulation körpereigener Regenerationskräfte" vs. Zellersatz laesst sich zur Zeit noch nicht durch empirische Ergebnisse entscheiden. In welchem Gebiet wir versuchen, diese Ergebnisse zustande zu bringen ist daher noch immer eine Frage der Intuition. Lass mich daher nur kurz anmerken, dass man keinen Oldtimer ewig auf der Strasse halten kann, ohne wenigstens hier und da mal ein Teil auszuwechseln. Wenn man es tut ist es zwar aufwaendig und teuer, klappt aber gut.

Natuerlich lehne ich die Grundlagenforschung in der Gerontologie nicht ab, aber ich lehne ganz entschieden den weit verbreiteten Glauben ab, dass wir noch mehr ueber das Altern lernen muessen bevor wir mit dem Versuch anfangen duerfen, es umzukehren.

wenn du wissen willst, WIE man bestimmte biologische Prozesse gezielt und erfolgreich beeinflussen kann, mußt du natürlich vorab wissen, wie und WARUM sie grundlegend funktionieren

Das ist zum Glueck nur sehr bedingt richtig. Ein paar Gegenbeispiele:
- Antibiotika wurde durch gluecklichen Zufall entdeckt, und erfolgreich therapeutsich eingesetzt bevor irgend jemand die geringste Idee von ihrer Struktur und Wirkungsweise hatte.
- Impfstoffe wurden durch kreatives Ausprobieren von wilden Vermutungen gefunden. Die verschiedenen Funktionen unseres Immunsystems, die zu ihrem Erfolg fuehren wurden erst viel spaeter verstanden (und sind noch heute nicht voellig verstanden).
- Hygiene hat die meisten bakteriellen Infektionskrankheiten durch aus unserem Leben entfernt, ziemlich kurz nachdem jemand zum ersten mal eine Bakterie unter dem Mikroskop gesehen hatte. Wir hatten damals **keine Ahnung** wie sie oder wir funktionieren. Alles was wir damals hatten war die begruendete Vermutung, dass sie **irgendwie** Krankheiten verursachen.

Ebenso koennen wir durch Stammzelltherapie Zellen des Patienten ersetzen, ohne dass wir genau wissen muessen, was eigentlich in ihnen kaputt ist. Es wuerde reichen, die Zellersatztechniken zu haben und zu wissen, dass alte Zellen *irgendwie* das Altern verursachen. Manchmal scheint es mir, als ob das viele Wissen was wir zusaetzlich haben vielen diesen sehr einfachen Gedankengang verschleiert.

Nur wenn du das Altern auf molekularer Eben verlangsamen willst (anstatt es auf zellulaerer Ebene umzukehren), dann brauchst du vielleicht doch noch mehr Grundwissen, weil die intrazellulaeren, molekularen Vorgaenge des Alterns in der Tat enorm kompliziert und redundant sind. Aber selbst da haben Kombinationen von Kreativitaet und Glueck bereits erstaunliche Fortschritte in Wuermern und Maeusen erziehlt (e.g. Calorie restriction, GH signalling, Catalase)

#16 Lothar

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Posted 27 July 2005 - 03:18 PM

@ John:

Wie gesagt, ich habe nichts dagegen, wenn ihr die anwendungsbezogene Forschung gegenüber der Grundlagenforschung stärken wollt, im Gegenteil, das finde ich sehr erfrischend und vielversprechend. Ich habe mich nur gefragt, nach dem ich deine diesbezüglichen Polemiken in den letzten Monaten das dritte Mal gelesen hatte und auch entsprechende Passagen auf de Greys Homepage, wogegen ihr so anwütet, und bin zu dem Schluß gekommen, dass es mehr mit der grundlegenden Sinnfrage in der Biogerontologie zu tun hat, die kein methodologisches Problem darstellt sondern mehr ein geistig-philosophisches, allgemein-menschliches oder individuell-psychologisches, vielleicht auch ein institutionelles, was das gewachsene Selbstverständnis der Disziplin betrifft.

Vielleicht bin ich als Außenstehender ja auch zu naiv, aber ich kann mir jedenfalls nicht vorstellen, dass ihr oder irgendjemand sonst erst eine 'Erlaubnis' braucht, wenn ihr vielversprechende Ansätze habt, das Altern tatsächlich und praktisch umzukehren. Wieso solltet ihr das nicht 'duerfen'? Natürlich kannst du aber keine offiziellen Forschungsgelder beantragen, wenn du in erster Linie auf die Faktoren Glück und Zufall setzt, wie deine Beispiele beinahe nahelegen, das ist halt der übliche konservative Zug von Normalwissenschaft oder die Rechenschaftspflicht von Politikern bei der Vergabe von Steuergeldern, die als Evaluationskriterien die herrschenden Paradigmen bzw. allgemein gebilligte Theorien und Autoritäten in einem Fach heranziehen müssen. Worauf sollten sie sich auch sonst beziehen, als fachliche Laien??

Ich glaube ja auch nicht, dass man alles schon im einzelnen oder gar bis ins letzte verstehen muß, um praktische Anwendungen abzuleiten, aber auch wenn man Details als black box behandelt, müssen auf der übergeordneten Ebene die funktionalen Beziehungen solcher black boxes im Sinne klarer Ursache-Wirkungsrelationen verstanden sein, wenn man eben gezielt eingreifen will: Bakterien HABEN etwas mit Hygiene zu tun, Impffaktoren STEIGERN tatsächlich den Infektionsschutz, Stammzellen KÖNNEN alternde Zellen ersetzen etc., das ist alles ja erst mal nicht selbstverständlich und mußte je erst mal so verstanden und im weiteren bewiesen sein. Ansonsten würde man ja Maßnahmen propagieren, die sinnlos wären, was eine Verschwendung von immer knappen Ressourcen wäre, daher habe ich ja auch nicht erneut das 'wie' gegen das 'warum' gegeneinander ausgespielt sondern den Gegensatz als Scheinalternative bezeichnet. Das ist etwas anderes und heißt soviel wie: beides gehört letztlich zusammen und man kann höchstens in der praktischen Herangehensweise anfangs andere Akzente setzen. Dass die Orientierung am 'wie' aber per sé IMMER effektiver wäre, wage ich allein schon durch deine Betonung von Glück und Zufall zu bezweifeln. Das KANN so sein, muß aber nicht. In einem anderen Fall führt vielleicht das grundlegende Verständnis der tieferen Zusammenhänge schneller ans Ziel.

Das Setzen auf den Zufall oder zumindest auf ein induktives systematisches Vorgehen nach Art wie Edison die Glühbirne erfunden hat, was man auch als eine Art 'erzwungenen Zufall' bezeichnen könnte, ist im Grunde eine Verlegenheitslösung, weil man eben bestimmte tiefere Gesetzmäßigkeiten noch nicht kennt, während die Suche nach der großen vereinheitlichenden Theorie das Ökonomieproblem auf geistiger Ebene zum Ausdruck bringt. Hat man die tieferen Zusammenhänge verstanden, kann man seine begrenzten Ressourcen an Aufmerksamkeit, Zeit und materiellen Mitteln 'ökonomischer', d.h. ganz gezielt und effektiver einsetzen, aber ich gebe gerne zu, dass es in der Forschungspraxis wahrscheinlich oft andersherum läuft, in dem die Anwendungen vor der Letzterklärung da sind. Da spielen dann aber tatsächlich auch ökonomische Dinge - jetzt im Alltagssinne des Wortes - eine zentrale Rolle. Du kannst sicher bei einem Oldtimer 'mal' ein Teil auswechseln, aber wenn du sämtliche Teile, den Motor, die ganze Karrosserie etc. ersetzen mußt und das vielleicht auch noch öfters, dann hast du es mit einem Hobby von seltenen und reichen Exzentrikern zu tun, das für die große Mehrheit noch bedeutungsloser bleibt als sowieso schon. (Rostschutzmittel, Garagenstellplatz und regelmäßige Wartung sollen hier übrigens die entscheidenden präventiven Faktoren sein, wie man hört.)

Das genauere Verständnis von dem, was man macht, wird vor allem auf der Ebene des Menschen eine entscheidende Bedeutung gewinnen, denn auf der Ebene der Zellkulturen, Würmer, Fliegen und Mäusen könnt ihr sicher ohne Wissen um die tieferen Zusammenhänge und Auswirkungen drauf los experimentieren. Beim Menschen geht es immer auch um die Frage von Nebenwirkungen, sowohl was die Beeinträchtigung der Lebensqualität in einer kurzfristigen Zeitperspektive betrifft als auch sehr langfristig in Bezug auf die versprochenen oder erwarteten Hauptwirkungen einer therapeutischen Massnahme. Die Idee, dass es hier nur um die abstrakte Steigerung von Lebenserwartung ginge, der sich alles andere unterzuordnen habe, wäre genauso lebensfremd und fehl am Platze, wie die generelle Missachtung psychosozialer Faktoren für die allgemeine Gesundheit. Die ganze von de Grey propagierte Mausforschung ist für mich übrigens auch 'Grundlagenforschung', meinetwegen anwendungsbezogene Grundlagenforschung, falls diese Begriffskombination erlaubt ist, aber von einer 'echten Anti Aging-Medizin', wie er sie rhetorisch von der heutigen abgrenzt, ist er ja selbst nach eigenem Bekunden noch 25 Jahre entfernt, mindestens.

Mit deiner übersteigerten Betonung, dass das Grundverständnis des Alterns schon ausreichen würde - etwa so wie das Wissen über die Gesetzmäßigkeiten der Statik für einen Brückenbauer - setzt du dich übrigens einer verstärkten und meines Erachtens völlig unnötigen praktischen Beweislast aus, weil potentielle Geldgeber ja auf konkrete Ergebnisse in überschaubaren Zeitrahmen pochen könnten. Zumindest auf der Ebene des 'wie' mußt du aber doch Unkenntnisse einräumen - wie oben schon geschehen - wenn du dich in der praktischen Arbeit nicht selbst behindern und zusätzlich unter Druck setzen willst. 'Anfangen' dürft ihr dabei sicherlich, wobei ich allerdings immer davon ausgegangen bin, dass das seit über 50 Jahren schon längst geschehen wäre!??

PS: Das Argument, das meines Erachtens am meisten für deine/eure Grundhaltung spricht, liegt in der Natur des Alterungsprozesses selbst, wenn das Zerfallsparadigma samt evolutionärer Erklärung richtig ist, wofür im Moment ja alles spricht. Es gibt dann nämlich gar nicht 'den' tieferen Zusammenhang bzw. den einfachen z.B. genetischen Alterungsmechanismus, so daß die Überwindung des Alterns sowieso auf eine vielfältige und auch etwas deprimierende Anstrengung nach Art des Syssiphus hinausläuft. Genau aus diesem Grund finde ich de Greys Ansatz auch nicht besonders optimistisch, aber das ist nicht sein Verschulden sondern liegt in der Natur der Sache, während viele 'optimistischen' Grundlagenforscher wahrscheinlich tendenziell immer noch auf der illussionären Suche nach dem einfachen Schlüsselfaktor sind, siehe oben den Ausgangsartikel zu diesem Diskussionsstrang. Vielleicht hat eure Polemik daher auch hier ihre tiefere Begründung und Berechtigung, als notwendige Kritik an falschen theoretischen Grundannahmen, aber ihr solltet SENS nicht als etwas verkaufen, was einfacher, praxisorientierter oder anwendungsbezogener wäre als die herkömmliche Alternsforschung. Das gibt das theoretische Modell gerade nicht her - auch nicht de Greys fachlicher background als theoretischer Biologe - und auch die gigantischen finanziellen Forderungen sprechen eine völlig andere Sprache.

#17 John Schloendorn

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Posted 28 July 2005 - 10:00 AM

Garagenstellplatz:
Der Unterschied zwischen Auto und Mensch ist dass das Auto von sich aus keine Rostschutzmittel und Garagenstellplätze hat. Die menschlichen "Rostschutzmittel und Garagenstellplätze" (i.e. körpereigenen Mechanismen um die Anhäufung von Schäden zu verlangsamen) sind allerdings schon so extrem effektiv und ausgeklügelt, dass es mir extrem schwer scheint, sie noch zu verbessern. Aber ich gebe zu, das ist letztlich eine Frage wissenschaftlicher Intuition. Man kann bestimmt anderer Meinung sein. Dann hat man allerdings gewisse praktische Schwierigkeiten (s.u.)

Grundlagenforschung:
Wenn wir Grundlagenforschung sagen müssen wir daher unterscheiden: Meinen wir die Grundlagenforschung in der Biogerontologie, i.e. die Fragen wie und warum sich die Schäden des Alterns anhäufen, oder Grundlagenforschung in der Therapie, i.e. wie junge Stammzellen ihre Umgebung wahrnehmen und sich entsprechen differenzieren, wie man effektiver klonen kann, ect. Letztere werden normalerweise nicht zu Biogerontologie gerechnet.
Nicht dass die Grundlagenforschung in der Biogerontologie an sich schlecht waere, ich sage nur wofuer ich mein Geld ausgeben wuerde wenn ich welches haette.
Man kan in der Tat sagen, dass die Grunlagen- und angewandte Forschung in der Stammzelltherapie schon "angefangen" hat, unsere Probleme zu lösen. Nur wie erfolgreich kann einer das Altern heilen, der es nicht wirklich will und nicht zugeben will, dass er es tut? Mit "anfangen" meine ich z.B. hergehen und fragen ob transplantationen mit junge Zellen in alten Tieren tatsächlich die Alterung ihrer Gewebe heilen, und wenn ja dann solche Therapien weiter entwickeln, die es tun. (Die Tatsache dass seit ~50 Jahren Zellersatztherapien in der Klinik eingesetzt werden, und noch niemand systematisch die Frage untersucht hat, ob das das Altern beeinflusst veranschaulicht sehr schoen was ich mit "anfangen" meine.)

Glück:
Ein Blick in pubmed zeigt uns dass Stammzelltherapien in Maeusen in vielen Geweben sehr erfolgreich sind. Man kann das allerdings nicht auf alle Gewebe extrapolieren, da gibt es zu grosse Unterschiede, vielleicht funktioniert es nicht ueberall so gut, das wird man nur durch Ausprobieren rausfinden. Also, es braucht laengst nicht so viel Glueck wie Fleming hatte als er auf seine Petrischale nieste (und dabei entdeckte dass das Lysozym im Speichelsekret antibiotische Wirkung hat) aber es braucht doch etwas Glück, das ist schon wahr. Dafür ist dies (zusammen mit molekularen SENS in Situationen wo Zellersatz zu schwer oder ineffektiv ist) der einzige Ansatz der die geringste Chance hat, heute existierende Menschen auf Fluchtgeschwindigkeit zu bringen.

Nebenwirkungen:
Klar, stimmt alles. Man kann nicht einfach gesunde Menschen mit einer experimentellen Therapie behandeln. Die ersten Menschenversuche wuerden wohl wie ueblich mit Patienten durchgefuehrt, die aufgrund von Organversagen nichts mehr zu verlieren haben. Das kann man machen mit Zellersatztherapien, aber nicht mit Therapien, die das Altern über lange Zeit verlangsamen sollen. Letztere wuerden ja der Krankheit vorbeugen, sie aber nicht heilen wenn sie schon da ist. (Ganz zu schweigen von den logistischen Schwierigkeiten, die Sicherheit und Effektivität der "Verlangsamung" über so lange Zeiträume zu testen, das Problem selber zu sterben, während man es macht, usw.)

Beweislast:
Ja, die haben wir allerdings. Wir werden diese Beweise nicht erbringen, indem wir es nicht versuchen. Wir haben hier keine Wahl. Wir muessen "anfangen", und versuchen auch gerne mal andere zu ueberreden, es mit uns zu tun, das wuerde die Sache wesentlich leichter machen...

Schlüsselaspekt:
Danke, gut gesagt.

#18 Lothar

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Posted 02 August 2005 - 02:34 PM

@ John:
Na da kann ich nur hoffen, daß Kreativität und Forscherglück doch noch zu fulminanteren und eleganteren Einsichten und Konzepten führen werden, denn MEINE Intuition und langjährige Erfahrung mit einer bloß symptomorientierten Medizin sagt mir, dass reine 'Reparaturunsterblichkeit' nie der große Wurf sein wird. Es wird sicher mit dem Anwachsen immer neuer medizinischer Erkenntnisse und therapeutischer Tricks rein pragmatisch auf so etwas ähnliches ganz von selbst und quälend langsam hinauslaufen, aber große allgemeine Begeisterung, die man auch noch zusätzlich verstärken könnte, um die Entwicklung zu beschleunigen (='überreden'), wird das nie erzeugen. Wer sieht sich selbst z.B. schon gerne im Geiste als hoffnungsloser Fall, der ambitionierten Bio-Forschern als Versuchskaninchen für ihre Projekte dienen darf, die auch noch auf nicht mehr und nicht weniger als ausgerechnet auf 'Unsterblichkeit' hinauslaufen sollen - freilich tendenziell nur für die anderen!?

Die präventive Verhütung des Rauchens wird nun mal immer ökonomischer sein als die aufwendige therapeutische Reparatur der Folgeschäden des Nikotinmissbrauchs, im Wortsinne wie im übertragenen Sinne von 'ökonomisch', und das Beispiel steht sowohl stellvertretend für die heutigen großen Zivilisationskrankheiten, an denen die Menschen sterben, als auch für die Problematik alternsbedingter Krankheiten. Es weist ebenfalls darauf hin, dass der einzelne etwas für seine Langlebigkeit tun muss, was wiederum eine bewußte Einstellung und vielfältige entsprechende Aktivitäten - oder Unterlassung von anderen - einschliesst, anstatt dass man den zukünftigen 'Unsterblichen' als blosses Behandlungsobjekt medizinischer Spezialisten ansieht. Solche Entmündigungsstrategien, die auch das normale Leben mit seinen vielfältigen Rück- und Auswirkungen auf die Gesundheit ausblenden, scheitern ja schon in viel kleinerem Maßstab und sollen ausgerechnet die Langlebigkeit/die Unsterblichkeit bringen!?? Das ist völlig unwahrscheinlich.

Der Oldtimer-Vergleich hat sicher seine Grenzen, er sollte vor allem verdeutlichen, dass eine Vervielfachung der Lebensdauer gegenüber der herkömmlichen mit einer einfachen und kostengünstigen Präventionsstrategie möglich ist. Dass ich dabei den exclusiven Zugang der biomedizinischen Wissenschaften zum Alterungsproblem generell bestreite, ist bekannt und muß ich hier nicht weiter ausführen, aber du hast das Grundproblem genau auf den Punkt gebracht: Gerontologen, die die grundlegende Überwindung des Alterns noch nicht einmal anstreben, werden bei einer solchen schwierigen Aufgabe auch nichts herausfinden, aber das gilt natürlich nicht nur für die Biogerontologie sondern sämtliche übrigen biomedizinischen Forschungszweige überhaupt! Würdest DU z.B. so viel Zeit und Energie hier in diesen Foren investieren, in dem sich doch ganz überwiegend biomedizinische Laien aufhalten, wenn du innerhalb deines Faches oder angrenzender Disziplinen ausreichend qualifizierte Ansprechpartner und Betätigungsfelder hättest!??

Die Wünschbarkeit der Lebensverlängerung ist eben keine Funktion der wissenschaftlichen Machbarkeit sondern ein übergeordneter, vorgelagerter und allgemeinphilosophischer Aspekt. Zu diesem Verhältnis habe ich mich in den letzten Monaten ja schon mehrfach geäußert, und auch dies ist ein tieferer Grund, warum ich primär eine grundsätzlich andere Option verfolge. Schließlich, ich kann's nur immer wieder wiederholen, hat der bisherige und anhaltende Anstieg der durchschnittlichen Lebenserwartung nur zum kleineren Teil mit medizinischen Verbesserungen und überhaupt nichts mit der Alternsforschung zu tun. Vor dem Hintergrund einer so schwachen Erfolgsbilanz nach jahrzehntelanger Forschung finde ich deine apodiktische und ausschließliche Bevorzugung biomedizinischer Strategien à la SENS zur Erlangung der 'Fluchtgeschwindigkeit' nicht überzeugend. Waren nicht schließlich alle involvierten Mediziner in erster Linie praktische Problemlöser und keineswegs nur die rätselorientierten Grundlagenforscher, und ist die Biogerontologie historisch nicht ein Abkömmling der Medizin!?

Deine Unterscheidung zwischen verschiedenen Grundlagenforschungen ist pfiffig, sie leidet wohl nur darunter, dass die Biogerontologie als eigenständiges akademisches Fach noch gar nicht richtig existiert - noch so ein Punkt, der dazu beiträgt, seine Hoffnungen in dieser Richtung zu minimieren. Ich sehe das so (beharre aber nicht unbedingt darauf): Wer sich als Biologe oder Mediziner nach den Regeln seines Fachs mit gerontologischen Fragestellungen beschäftigt, ist ein 'Biogerontologe'. Willkommen im Club, aber in dieser mangelnden Institutionalisierung liegt für Außenseiter wahrscheinlich sogar eher eine Chance. In der öffentlichen Wahrnehmung, die auch über Forschungsgelder mitbestimmt, ist die Biogerontologie aber zweifellos die Leitdisziplin, und es wird sehr schwer sein, da schnell und effektiv gewissermassen als Seiteneinsteiger voranzukommen, wenn ihre Koryphäen sich weiterhin bedeckt und abwehrend verhalten. Dieses neue SENS-Evaluationsprojekt des Technology Review-Herausgebers (oder Chefredakteurs?) Pontin ist daher tatsächlich eine große Chance wiewohl auch ein Risiko, aber das ist ein eigenes Thema, das ja im Hauptforum diskutiert wird.

Deine Annahme, dass beim Menschen schon sämtliche Präventions- und Regenerationsressourcen ausgeschöpft wären, läuft letztlich auch auf die implizite Behauptung hinaus, dass alle Menschen schon optimale Lebensbedingungen in jeglicher Hinsicht besäßen - materiell wie psychisch wie sozial - was offenkundig abwegig ist. Die de Greysche Metaphorik von der 'Fluchtgeschwindigkeit' unterstellt dabei generell das Altern als vorrangiges Hauptproblem des Überlebens, während in Wirklichkeit die meisten Menschen selbst in den wohlhabenderen Ländern noch nicht einmal die 'Startgeschwindigkeit' erreichen und die wahre Fluchtgeschwindigkeit in der erfolgreichen Meisterung ALLER existentiellen Bedrohungen und Lebensbeeinträchtigungen bestünde, und zwar immer der zunächst zeitlich naheliegenderen und dringlicheren. Da der biomedizinische Focus der Langlebigkeit und Unsterblichkeit in der Umkehrung dieser existentiellen Dringlichkeiten jedoch beständig am Alltagsbewußtsein und Alltagsleben der Menschen vorbeizielt, kann man bis auf kleinste Ausnahmen auch niemanden zu irgendeiner praktischen Beteiligung oder einem tieferen Engagement 'überreden'. Die Metapher hinkt sowieso, denn die Fluchtgeschwindigkeit einer Rakete ist fix und läßt sich exakt berechnen, da die Auswirkungen der Gravitation genau bekannt sind, die 'Fluchtgeschwindigkeit' gegenüber dem Altern muss auf immer weitere zukünftige und immer wieder zunächst hypothetisch bleibende Durchbrüche in der Zukunft setzen, wenn die Letztursachen des Alterns unbekannt bleiben oder nicht mal erforscht werden sollen/können. Geht der Anti-Alternsrakete der Treibstoff der Innovation oder des Glücks aus, stürzt sie wieder zurück.

So wie der Mensch qualitativ und evolutionär mehr ist als Zellkulturen, Würmer, Fliegen und Mäuse, so müssen auch seine Langlebigkeits- und Unsterblichkeitsstrategien etwas qualitativ anderes sein und seiner Bewußtseins-, seiner Handlungs- und auch seiner sozialen Natur anthropologisch Rechnung tragen. Krankheitsvorbeugung, Konfliktverhütung, Risikominimierung aber auch Unfallvermeidung oder Katastrophenschutz können daher nur aus einer tiefen, bewußt-lebensbejahenden und aktiven Einstellung heraus resultieren, die auch sämtlichen sozialen Beziehungselementen angemessen Rechnung trägt, nicht aber aus einem selbstvergessenenen, gleichgültig-indifferenten und todesorientierten Leben, in dem man passives Dauerbehandlungsobjekt von medizinischen Experten wird, die die Menschen als blossen Zellautomaten sehen. Das ist unterkomplex und übersieht schon die einfache Tatsache, dass das menschliche Gehirn als oberstes Steuerorgan des Körpers einerseits bis in die letzten zellulären Vorgänge hineinwirkt, andererseits von den BewußtseinsINHALTEN des menschlichen Geistes mitbestimmt wird, der sich im ununterbrochenen Austausch vieler 'Gehirne' bildet. (Daher auch die eigenständige Relevanz von Altersselbstbildern, wie sie z.B. im 'Methusalem-Komplott' diskutiert werden.) Gerade ein Immortalist ist deshalb als blosses Objekt äußerer Einflüsse und Machtinteressen nicht denkbar sondern er muß idealtypisch immer als fortgeschrittenes Subjekt mit gesteigerter Selbstreflexion und Selbstverantwortung gedacht werden. Krankheit im allgemeinen und damit auch alternsbedingte Krankheiten im besonderen lassen sich so weder diagnostisch noch therapeutisch auf die Zellebene oder intrazelluläre Prozesse reduzieren, sondern die Verhaltens-, Einstellungs- und Beziehungsebene, der ganze individuelle Lebensstil mit seinen äußeren Rahmenbedingungen, gehört untrennbar dazu. Oder wie es ein Arzt für psychosomatische Medizin vor ein paar Monaten in einem öffentlichen Vortrag differenziert formulierte: Es sei unbezweifelbar, dass für manche wichtige Krankheiten die schulmedizinische Maschinenmetapher des Körpers am angemessensten ist, aber genauso sei sie für viele andere Pathologien völlig Fehl am Platze. Diese Einsicht muß auch und gerade für die Überwindung des Alterns oder die Unsterblichkeit gelten, da in einer solch extremen Perspektive ALLE gesundheits- und lebensfördernden wie lebensmindernden Faktoren und Prozesse kulminieren!

Für mich hat daher das menschliche Bewußtsein, die innere Einstellung und die bewußte Ausrichtung auf die Unsterblichkeit den obersten Primat, alles andere und auch die Frage der praktischen Machbarkeit ist nachgeordnet. Der tiefere Witz all' dieser Einwände besteht auch darin, dass sogar die biomedizinischen Ansätze und Optionen ein viel größeres Resonanzpotential hätten, wenn ihre Propagandisten die existentiellen Prioritäten authentisch und in der richtigen Reihenfolge setzen würden! ERST demonstriert man ein glaubwürdiges Engagement für das Leben in all' seinen Formen und menschlichen Facetten, mit ersten Erfolgen und Verbesserungen, d.h. auch anhaltender Zunahme der durchschnittlichen Lebenserwartung wie größerer individueller Fitness, Vitalität und Lebendigkeit, entsteht ein immer stärkerer kollektiver Wunsch nach weiterer Steigerung und zeitlicher Ausdehnung, und DANN erst werden Fragen der fortgeschritteneren und auch biomedizinischen Machbarkeit relevant und fliessen allgemeine Gelder... - wer es andersherum versucht, will den zweiten (oder fünften) Schritt vor dem ersten gehen und provoziert nur zusätzliche Widerstände, die die Entwicklung noch weiter verlangsamen.

Es ist weiterhin wahrscheinlich, dass sich die Zahl der zu lösenden Aufgaben mit umfassend präventiven Verhaltensweisen drastisch verringern dürfte, denn wenn man z.B. auch die Untersuchungen an Langlebigen und Hochbetagten ernst nimmt, ist klar, dass keineswegs jeder Mensch automatisch ALLE Krankheiten bekommt, die man theoretisch bekommen könnte. Daher wäre eine INTEGRALE Herangehensweise wohl am erfolgversprechendsten, da sie Probleme reduziert, biomedizinische Fragestellungen einengt, Aufmerksamkeits- und Energieressourcen bündelt und so auch die wissenschaftlich-medizinische Entwicklung effektiver voranbringt.

#19 Lothar

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Posted 08 September 2005 - 05:35 AM

Manchmal kann man eine bestimmte Einsicht erst im Nachhinein kurz und bündig auf den Punkt bringen, wobei die vorangehenden Bemühungen um Differenzierung oft eine unerlässliche Voraussetzung sind. So wohl auch in diesem Fall.

Der allgemeine Stellenwert des Alterns - und damit auch die Chancen der Alternsforschung - lässt sich nämlich unter Zuhilfenahme eines einfachen Schemas, das im Zeit- und Projektmanagement weite Verbreitung findet und das der Selbstvergewisserung, Einteilung und Planung verschiedener zu erledigender Vorhaben dient, prägnant auf den Punkt bringen. Nach diesem Schema kann man alle möglichen Dinge oder Projekte nach zwei Grundkriterien bewerten: wie wichtig ist etwas und wie dringend ist es! Benutzt man nur eine dreiwertige Skala: wichtig-weniger wichtig-unwichtig bzw. dringend-weniger dringend-überhaupt nicht dringend erhält man durch die Kombination von beiden Kriterien eine einfache 9-Felder-Matrix, aus der sich eine einfache zeitliche Hierarchie der zu erledigenden Aufgaben ergibt: An erster Stelle widmet man seine Kraft und Aufmerksamkeit allen Dingen, die sehr wichtig und sehr dringend zugleich sind, an letzter Stelle steht alles, was unwichtig und überhaupt nicht dringend ist, während die meisten Punkte in einem mittleren Spektrum zu finden sind: Sehr wichtig aber weniger dringend, weniger wichtig, aber sehr dringend, weniger wichtig und weniger dringend usw. Dabei gibt es zwar Zuordnungs-, Ermessens- und Entscheidungsspielräume - z.B. zwischen benachbarten Positionen oder bei genau gleicher Einstufung etc. - aber das interessante wie zwingende dieser ganzen Herangehensweise besteht darin, dass sich diese Spielräume in engen Grenzen halten und unter existentiellen Gesichtspunkten sogar ganz besonders!

Wendet man dieses Einteilungsschema nun auf das Altern, die Alternsforschung bzw. die Bedrohung durch alternsbedingte Krankheiten an, wird sofort klar: ALTERN IST WICHTIG - ABER ÜBERHAUPT NICHT DRINGEND! so dass in der kollektiven Aufmerksamkeitsverteilung und Prioritätensetzung bestenfalls immer nur ein Platz im Mittelfeld herauskommen kann. Man versteht dann auch sofort, warum ununterbrochen andere existentielle Katastrophen und Bedrohungen z.B. die mediale Berichterstattung oder das Bewußtsein politischer Entscheidungsträger dominieren - vom Krieg, politischem Terror, Flugzeugabsturz bis hin zum Tsunami oder dem Hurrikan etc.pp. - weil sie eben genau von diesem Moment der aktuellen Dringlichkeit beherrscht werden, dem alles andere weniger dringliche weichen muss, oder wie sogar existentiell weniger wichtige Themen, wie z.B. Wahlen, Ölpreis, politischer und ökonomischer Alltag, Unterhaltung, Sport... die wichtigeren aber überhaupt nicht dringenden verdrängen können. Man denke an die ganze Ökologieproblematik als anderes Paradebeispiel.

Ob Altern wichtig ist oder nicht, ist natürlich auch schon Ansichtssache, wie die anhaltenden Auseinandersetzungen mit entsprechenden Kritikern zeigen, die ja für eine Akzeptanz des Alterns und des Todes plädieren, aber selbst wenn man von einer hohen und höchsten Wichtigkeit ausgeht, scheint die geringe individuelle Dringlichkeit des Themas nur allzu offensichtlich zu sein. Jemand könnte einwenden, dass dies zumindest für die Gruppe der alten Menschen völlig anders aussehen müsste, aber erstens machen sie nur einen kleineren Teil der Bevölkerung aus, zweitens ist das beinahe komplette Fehlen ältererer Generationen in immortalistischen Kreisen nur zu offensichtlich, drittens verschieben sich die subjektiven Selbstdefinitionen, wann jemand sich als alt empfindet, seit vielen Jahren in dramatischer Form (wenn ich's recht im Kopf habe, fühlen sich heute nur noch 25% der 70-jährigen als alt, während es vor 20 oder 30 Jahren noch 75% waren!) und schliesslich ist viertens die Kategorie 'alt' im Kern eine zusammenfassende Abstraktion sehr vieler Phänomene, der zudem keine unmittelbare existentielle Bedrohung entspricht. Das Altsein wird im Grunde genau dann erst 'dringlich', wenn es sich in irgendeiner Form als Krankheit manifestiert, damit steht dann aber immer irgendeine der vielfältigen Krankheiten subjektiv im Vordergrund, nicht die blosse Krankheitsdisposition 'Alter', die zudem eine Vereinheitlichung von Lebenserfahrung, gesellschaftlicher Kommunikation und Anknüpfungschance für Aufklärungsarbeit vortäuscht, die gerade unter existentiellen Gesichtspunkten so nicht gegeben ist.

Will man sich daher kollektiv dem Thema Altern bzw. der Alternsforschung stärker zuwenden bzw. die kollektive Aufmerksamkeit dafür fördern, bleibt einem wohl auch nichts anderes übrig, wie wenn man eine persönliche Prioritätenliste abarbeitet: Man muß zunächst die wichtigeren und dringenderen Probleme lösen und dabei soviel Energie-, Handlungs- und Zeitüberschüsse schaffen, dass man sich auch den weniger wichtigen und/oder weniger dringenden Aufgaben und Bedrohungen zuwenden kann. Natürlich kann jeder, der es sich leisten kann, das individuell freier definieren - und solche partiellen Überschüsse an Geld, Zeit, Energie, individuelle Sicherheit, Gesundheit etc. sind auch die Basis für bestimmte soziale Institutionen wie Wissenschaft, Medizin, Gerontologie... - aber die generellen Ausbreitungschancen von Ideen und sozialen Bewegungen werden von den skizzierten strukturellen Grund- und Rahmenbedingungen prinzipiell eingeschränkt und sind nur in einem grösseren historischen Entwicklungsprozess variabel.




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