Posted 05 August 2003 - 11:46 PM
Hi Caliban,
manchmal ist eloquentes 'Nein' sagen vielleicht schon ein notwendiger substantieller oder auch konstruktiver Beitrag, wenn eine Debatte - vermeintlich - in die falsche Richtung geht, denn die Ressourcen sind begrenzt und man kann eine bestimmte Menge nicht doppelt verausgaben. Außerdem ist es ja wohl eine etwas doppelbödige Kritik von mir mehr konkretes in alternativer Richtung zu verlangen, um gleichzeitig die Zensur anzudrohen, wenn ich einer solchen Aufforderung tatsächlich nachkommen würde. Ich hatte einen solchen Einwand aber längst antizipiert, weil ich den (alten) Text auf der Startseite der FALK-Homepage gut gelesen hatte, und es war einer der Hauptgründe, warum ich mich nicht längst schon vor zwei Jahren an den Diskussionen beteiligt hatte. Auf imminst.org bin ich erst sei kurzem dabei, wobei ich eine internationale Orientierung zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht für besonders sinnvoll halte, solange es nicht mal eine nennenswerte nationale bzw. lokale Diskussion gibt.
Die Meta-Diskussion verhandelt letztlich die weltanschaulichen Grundpositionen, und wer bei einem Thema, bei dem es im Wortsinne um Leben und Tod geht, hier vorschnelle Ein- und Ausgrenzungen vornimmt, der trifft damit eine existentielle Vorentscheidung. Ich finde daher nicht, daß ich mich zu rechtfertigen hätte, wenn ich eine solche Vorentscheidung in Frage stelle, sondern eher sind doch diejenigen in Zug- oder Erfolgszwang, die mit selbstverständlicher Geste sich für eine bestimmte naturwissenschaftliche Grundausrichtung aussprechen, um alles andere umstandslos als irrational, mystizistisch, abergläubisch, 'nicht beweisbar' usw. abzuwerten. Mein 'Aufstöhnen' habe ich dabei drei- oder viermal exemplarisch vorgeführt, um meine allgemeinen Einwände gegen eine unreflektierte Wissenschaftsgläubigkeit zu entwickeln, und es dann auch wieder gut sein lassen. Vorausgegangen war dem ein jahrelanges Anklicken aller möglichen unfruchtbaren Links, die mir unverbundene Informationshappen aus tertiären oder fragwürdigen Quellen anboten und die zum großen Teil zur Kategorie gehörten, die ich jetzt 'Ankündigungspropaganda' getauft habe. Eine rationale, systematische und vor allem auch eigenständige Aufarbeitung wenigstens der Gegenstände der naturwissenschaftlichen Gerontologie kann dadurch aber nicht ersetzt werden.
Arbeitsgruppen sind auf allen möglichen Gebieten des Lebens ein effektives Mittel, Kräfte zu bündeln oder Wissen systematisch zusammenzufassen, zu strukturieren, zu diskutieren und zu bewerten. Das ist auch ein Grund, warum ihr jetzt auf imminst.org Umstrukturierungen vornehmen bzw. einen inneren Kreis schaffen wollt, freilich nur(?) auf virtueller Ebene. Gruppen haben aber vor allem auch einen motivierenden Effekt, an einer Sache dranzubleiben und sich ihr gemeinsam zu widmen, und dieser sozialpsychologische und allgemein menschliche Zug wird sowieso entscheidend werden, wenn man der Idee zu allgemeiner Ausbreitung verhelfen will. Nur Hardcore-Rationalisten könnten auf den Gedanken kommen, daß Menschen ihre geistigen oder ihre Handlungspräferenzen nach rein sachlichen Kriterien auf Basis fundamentaler Distanz und Fremdheit entschieden.
Menschen organisieren generell seit Urzeiten ihr Überleben in Gemeinschaften, und in jedem Betrieb, jedem Sportverein, jeder politischen Partei, jeder Familie wirken daher ganz eigenständige und starke Kräfte, die der Immortalismus in Rechnung zu stellen und im eigenen Sinne zu nutzen hätte. Die virtuelle Kommunikation weist dagegen noch weitgehend Elemente von Beliebigkeit und Unverbindlichkeit auf, die auf ein mangelndes Engagement der Beteiligten rückschließen lassen. Dies gilt für sehr viele oder beinahe alle Themen, die im Internet verhandelt werden, aber ich empfinde den Widerspruch von Anspruch und Wirklichkeit bzw. von Theorie und Praxis immer dann besonders schmerzlich, wenn besonders hohe Ansprüche formuliert werden, die auch noch eine grundlegend praktische Dimension besitzen. ('Unsterblichkeit'!) Anders gesagt: wenn in jedem Kaninchenzüchterverein mehr Bereitschaft vorhanden ist, Energie, Zeit oder sogar Geld zu opfern, als bei einer existentiellen Fragestellung, dann ist etwas faul im Staate Dänemark. Weniger kritisch gesprochen kann man eine solche Differenz aber auch einfach nur als markantes Zeichen lesen, wie stark sich die Widerstände bei einem Thema oder einer Idee darstellen oder wie stark ein ganzer Bereich marginalisiert ist. Dies ist beim Konzept der physischen Unsterblichkeit sicher der Fall, so daß das Internet hier erstmal einen gewissen Befreiungscharakter entfaltet, aber man sollte die virtuellen neuen Möglichkeiten nicht vorschnell mit den realen Chancen verwechseln. Die Gründung einer Arbeitsgruppe 'im richtigen Leben' empfinde ich in dieser Hinsicht daher durchaus auch als selbstbewußten Versuch, dem Immortalismus in vertiefter Weise Geltung zu verschaffen und deine Kritik daran ziemlich kleingläubig oder unreflektiert.
Einer der Haupteinwände gegen die Idee der physischen Unsterblichkeit ist schließlich die Behauptung des egoistischen Grundzuges von Immortalisten, wie er jetzt auch in einer Variation wieder von Casanova vorgetragen wurde. Damit hatte ich noch nie ein Problem, denn ich wollte noch nie alleine unsterblich werden, aber ich hatte auch noch nie eine Freundschaft mit Menschen, die diesen Wunsch in gleicher Weise geteilt hätten. (Sind ja auch noch rar gesät.) Gedankenaustausch übers Internet ist daher völlig o.k. und für gewisse allgemeine oder organisatorische Aspekte unverzichtbar, aber der virtuelle Kontakt kann einen realen niemals ersetzen, unabhängig von unserem Thema. Dies ist für bestimmte 'esoterische' Fragestellungen sogar noch zugespitzt, denn bestimmte objektive Erfahrungsmöglichkeiten hängen von der Art und der Qualität des menschlichen Kontakts ab. Wenn du daher den Wert einer Gruppe so generell in Frage stellst, muß ich anzweifeln, daß deine 'Beschäftigung' in der Vergangenheit mit den von dir angeführten Themenfeldern eine große Substanz gehabt haben kann, wofür auch die Vielfalt und Heterogenität der benannten Richtungen und Traditionen spricht. Das ist vielleicht kein Wunder, denn ein gemeinsamer Nenner sehr vieler mystischer und esoterischer Lehren ist ihre grundlegende Orientierung an einem dualistischen Weltbild, das mit der Abwertung des Diesseits einhergeht und ihr Verhaftetsein im Gedanken der Reinkarnation, während es doch vielleicht kein Zufall ist, daß du dich so sehr für das Konzept der physischen Unsterblichkeit engagierst. Ein 'richtiger' Esoteriker würde hier zweifellos von deinem 'Karma' sprechen... ;-)
Es kann aber auch einfach nur sein, daß all' deine Beschäftigung mit diesen Themen auf dem aufbaute, was Ken Wilber völlig zu Recht den prä/trans-Irrtum genannt hat, wobei sich das mit der vorherigen Erklärung nicht ausschließen muß. Du hättest dann lebensweltlich-psychologische Bedürfnisse oder Probleme im projektiven Gewand spiritueller Traditionen und Inhalte behandelt, wobei die Desillussionierung und kritische Distanz die logische Folge einer solchen - sehr weit verbreiteten - Vertauschung wäre. Du siehst: wenn man in solche Themen wirklich inhaltlich einsteigt, wird es sehr schnell sehr persönlich, und das war jetzt nur ein Beispiel, um nochmal von einer anderen Seite her aufzuzeigen, warum bestimmte Fragestellungen weniger ins Internet als in eine freundschaftliche Arbeitsgruppe gehören.
Im übrigen habe ich bisher darauf verzichtet, bestimmte Autoren und Bücher zu nennen, weil
ich nicht vorschnell in eine Verteidigerrolle von Leuten oder Richtungen gedrängt werden wollte, die ich im Einzelfall selbst durchaus skeptisch beurteile, etwa im Sinne der Generalperspektive Wilbers. (Schließlich habe ich bis jetzt auf Autoren wie Erich Fromm, Bertrand Russell, Robert Musil u.ä. verwiesen, und ein solches Niveau kann ich bei diesem Thema leider nicht bieten.) Mir kommt es aber gerade auf die kritisch-konstruktive und vor allem praktisch-experimentelle Überprüfung der vorgetragenen Wege und Konzepte an, und da die innere Haltung das entscheidende bei den Wegen der 'natürlichen Unsterblichkeit' ist und nicht die nackten Informationen, ist das auch eine Art von Selbstschutz. Wenn man nur eine Woche probiert, sich beispielsweise mit den polemischen Argumenten Casanovas auseinanderzusetzen, merkt man schnell, was das mit einem innerlich anstellt oder fragt sich, wozu das gut sein soll, vom Zeitaufwand her ganz abgesehen. (Allerdings hat manches von ihm durchaus Hand und Fuß bzw. formuliert er oft nur kritische Argumente, die sowieso schon im Raum sind, und denen man sich stellen muß.)
Deine aufgelisteten versuchsweisen Beispiele - Feng Shui, Akupunktur, Kundalini-Yoga... - zeigen, daß dir aber anscheinend tatsächlich noch nie spirituelle Konzeptionen der physischen Unsterblichkeit untergekommen sind, also muß ich ja jetzt wohl oder übel Verzicht auf den Verzicht leisten, seufz. Ist dir denn noch nie beispielsweise Leonard Orr, der Begründer der Rebirthingbewegung über den Weg gelaufen, der nun ja schon bald dreißig Jahre Propaganda auf der ganzen Welt für diese Idee macht und zumindest quantitativ einen ganzen Haufen Leute beeinflusst haben dürfte!?? Tom Robbins' kongenialer und inspirierender Roman 'PanAroma' baut letztlich auf den ernstgemeinten Konzepten und Techniken von Orr auf, der wiederum aus indischen Quellen geschöpft hat. Das indische Ayurveda besitzt auch eine Tradition der Lebensverlängerung, die der Populärautor Deepak Chopra in seinem Buch 'Die Körperzeit' in modernem Sinne ausdeutet. Aurobindo habe ich im Wilber-Thread schon erwähnt, wobei für mich vor allem die Bücher seines Schülers Sat Prem von Bedeutung sind (z.B. 'Evolution 2'). Ich kann hier aber noch nicht sagen, inwieweit die mehr philosophischen Gedanken sich auch schon in konkreten praktischen Wegen niedergeschlagen hätten. In der Novelle 'Das Lächeln des Tao' von Lawrence Durrell findest du eine sehr schöne Einführung in die taoistische Gedankenwelt und deren Interesse an der Lebensverlängerung, wobei es den Taoisten zunächst um die innere geistige und emotionale Einstellung geht und dann erst um praktische Maßnahmen wie sexuelle Techniken, Diätik, Körperübungen usw. Ein Autor, der mich einmal sehr inspiriert hat, und der sich immer wieder unter dem Aspekt der Motivierung mit Gewinn liest, ist Prentice Mulford mit seinen Essaybänden. ('Unfug des Lebens und des Sterbens' etc.) Dessen Bücher waren schon zu Weimarer Zeiten in hunderttausender Auflagen in Deutschland verbreitet, und meiner Meinung nach dürfte er den größten langfristigen Einfluß auf die Entwicklung der Unsterblichkeitsidee gehabt haben...
Natürlich könnte ich noch eine ganze Reihe weiterer Bücher nennen, aber einen 'Tip' im platten Sinne des Wortes kann ich dir angesichts des Themas und meiner ganzen Grundeinstellung, bei der es auf subtile, teils intime und individuelle Umstände ankommt, wirklich nicht geben. Das hängt auch damit zusammen, daß ich letztlich keinem konkreten Weg folge, sondern erstmal an einer vereinigenden Zusammenschau der verschiedenen Traditionen interessiert bin, bei einer besonderen Affinität zu den taoistischen Konzepten, sowie am tieferen Verständnis der existentiellen Fragestellungen ('Was ist Leben?' etc.). Außerdem gebe ich verschiedenen Ansätzen aus ganz anderen Gründen und Erfahrungen einen gewissen Vertrauens- oder Geltungsvorschuss, weil ich mich während meines Studiums - ich bin studierter Soziologe - ausgiebig mit den verschiedensten sozialmedizinischen und psychosomatischen Konzepten und körpertherapeutischen Methoden beschäftigt habe und daher weiß, was schon nach eher konservativer Lehrmeinung auf diesen Gebieten alles möglich ist und was normalerweise wenig bekannt ist oder oberflächlich abgestritten wird.
Deine Kritik klingt insgesamt ein wenig so, als erwartest du von mir tatsächlich ein Unsterblichkeitsrezept, und das erheitert mich jetzt ein wenig: 'Nein, was dieser Herr Caliban mir so alles zutraut!?' Ich würde es dir ja wirklich verraten, aber ich wäre hier wohl kaum so wortreich aktiv, wenn ich des Rätsels Lösung schon gefunden hätte oder mit großer Gewissheit eine bestimmte Methode praktizieren würde. Findest du nicht, daß du da mit deinen Aufforderungen ein wenig zu weit gehst, denn wenn du den zugrundeliegenden Maßstab an jeden einzelnen Beitrag anlegen würdest - auch an deine eigenen Beiträge - könntest du dieses Forum ganz schnell dicht machen!? Wir müssen uns schon mit der Tatsache unserer Sterblichkeit auf DEM Niveau der existentiellen Bedrohung auseinandersetzen, die die Drohung des Todes für uns bereithält, wenn wir uns nicht vorschnell mit billigen 'Lösungen' oder faden Versprechungen in die Tasche lügen wollen, egal aus welcher Richtung sie kommen, und es ist wahrscheinlich die größte Herausforderung für eine solchen Gruppe angesichts des ernsten und potentiell tragischen Aspekts des ganzen Themas, sich den Spaß nicht verderben zu lassen, um sich um so mehr in den spannenden, heiteren und ekstatischen Seiten des Lebens zu zentrieren. Letztlich bin ich aber auf deine unangemessene Erwartungshaltung oben schon in meiner Antwort auf John indirekt eingegangen, Stichwort gesteigerte Lebenskunst/Übertragbarkeit. Und wenn mein neulicher Hinweis auf Erich Fromms 'Die Kunst des Liebens' dir noch nicht 'substantiell' genug war, dann kann ich dir im Moment leider auch nicht weiterhelfen, sorry.
Gruß
Lothar