Meiner Meinung nach sind die tieferen Ursachen des 'französischen Paradoxons' durchaus noch unklar. Ob es nur an bestimmten Ernährungsfaktoren liegt und insbesondere am (mäßigen) Rotweinkonsum und dabei wiederum am Resveratrol oder auch an ganz anderen bzw. einer komplexen Kombination von Bedingungen wird wissenschaftlich kontrovers diskutiert. Zunächst handelt es sich nur um einen epidemiologischen und medizinstatistischen Sonderbefund, der in dem von Karl im Nachbarstrang 'Seriöse Bezugsquellen Resveratrol?' verlinkten Artikel der Östereichischen Apothekerzeitung eingangs ganz gut beschrieben wird. (Gegen Ende ist der Text aber etwas schludrig, wenn er mediterrane Völker in Gänze zu langlebigeren erklärt, denn die durchschnittliche Lebenserwartung in Frankreich, Spanien, Italien etc. ist keineswegs signifikant höher als z.B. in Deutschland, Großbritannien oder Schweden, siehe folgenden Wikipedia-Link:
http://en.wikipedia....life_expectancy
Nur die Herzinfarktraten sind trotz 'eigentlich' ungünstigerer Ernährungsgewohnheiten oder anderer Risikofaktoren (wie z.B. Tabakkonsum) niedriger als erwartet. Die Menschen sterben dafür dann aber halt an anderen Krankheiten wie z.B. Leberzirhose...)
Schon am 8. März erschien in der ZEIT beispielsweise ein umfassender Artikel, der die herzschützende (und damit lebensverlängernde) Wirkung von mäßigem Rotweingenuß grundlegend in Frage stellte. Kernargument des zitierten Mediziners und ehemaligen Direktors der neurologischen Abteilung einer Uni-Klinik: die verschiedenen epidemiologischen Studien vernachlässigten den Schichteinfluß und konstruierten dadurch fragwürdige Vergleichsgruppen von Trinkern und Nichtrinkern. Weintrinken korreliere aber aus verschiedenen sozialen Gründen mit höherem Gesundheitsbewußtsein, ist also nur Indikator, Ausdruck oder Folge nicht aber direkte Ursache geringerer Herzinfarktneigung, und rechne man diesen schichtspezifischen Faktor heraus, verschwänden die Unterschiede in den Krankheitsdispositionen zwischen den untersuchten Gruppen. Sollte mäßiger Rotweinkonsum daher tatsächlich gar keine besonderen gesundheitlichen Vorteile mehr haben, bräuchte man dann auch nicht nach spezifischen Inhaltsstoffen im Wein zu fahnden und die Resveratrol-Hypothese bräche schon von der epidemiologischen Basis her in sich zusammen!
Der Rest wäre geschicktes und aufwendiges Marketing der riesigen und finanzstarken Weinlobby, die nur das Image ihres Produkts aufwerten will, wie der ZEIT-Artikel im zweiten Teil genauer ausführte...
Der ganze Resveratrol-Ansatz und die jüngsten Studien insbesondere von David Sinclair wurden Ende Februar auch im Forum der Methusalem-Foundation durch ein längeres mehrteiliges Posting von Michael Rae einer fundamentalen Kritik unterzogen:
http://www.methusela...hread.php?t=123
Michael ist nicht nur enger Mitarbeiter von Aubrey de Grey sondern auch langjähriger Experte in Sachen 'Kalorienrestriktion', die ja als Erklärungsmodell oder theoretische Basis der Resveratrol-Wirkung herangezogen wird. Ich habe mindesten zehn(!) einzelne Einwände von ihm gegen die methodische Konzeption, Durchführung, Auswertung und Interpretation der Sinclairschen Studien gezählt plus zusätzliche grundlegende Bedenken gegen den beschränkten Ansatz der Kalorienrestriktion überhaupt im Vergleich zu den viel grundlegenderen SENS-Ambitionen, weil der Resveratrol-Hype die Aufmerksamkeit und Motivation der Lebensverlängerer ablenken und zerstreuen würde. Es seien hier daher nur beispielhaft drei wichtige Kritikpunkte benannt:
1. Es gäbe noch keine einzige Studie, die eine positive Wirkung bei gesunden und normalgewichtigen Mäusen gezeigt hätte, weshalb die hochdosierte Einnahme von Resveratrol durch junge, schlanke und gesunde Lebensverlänger sehr fragwürdig sei. (Siehe z.B. den '500 mg-Club' hier auf ImmInst, den Strang mit der größten aktiven Beteiligung und Klick-Resonanz der letzten Monate.)
2. Mäuse bekämen normalerweise gar keinen Herzinfarkt, weshalb gerade die behauptete herzschützende Wirkung und der davon abgeleitete lebensverlängernde Effekt von Resveratrol beim Menschen gar nicht richtig vergleichbar wäre.
3. Die Vergleichbarkeit von Mäusen und Menschen sei auch hinsichtlich der Dosierung von Resveratrol völlig unklar, wobei auf Grund sowohl organismusspezifischer wie gewebespezifischer Unterschiede zwischen Maus und Mensch unter Umständen bei bestimmten Dosierungen just das Gegenteil des behaupteten bzw. angestrebten (Genaktivierungs-)Effekts auftreten könne. usw.
Vorgestern hat er außerdem noch in einem zweiten Strang nachgelegt und etwas über die ungünstige Rolle geschrieben, die die Resveratrol-Einnahme beim menschlichen Krebsgeschehen spielen könnte...
@ Karl:
Ich habe schon vor längerem gesehen, daß du an dem Wikipedia-Artikel zu Resveratrol mitgearbeitet hast. Dort finde ich als durchschnittliche Mengenangabe von Resveratrol pro Liter Rotwein 30 bis 50 Milligramm, während ich in anderen Quellen, z.B. auch in dem von dir verlinkten Apothekertext, eine rund zehnfach kleinere Durchschnittsmenge lese. Was stimmt denn nun?? Dies hätte auch Konsequenzen für den Vergleich der Resveratrol-Menge von Rotwein zu rotem Traubensaft, die der Wikipedia-Artikel mit knapp über 1000 Mikrogramm, also immerhin 1 Milligramm pro Liter, angibt, bei dem ja zumindest die schädlichen Wirkungen des Alkohols wegfallen würden:
http://de.wikipedia....iki/Resveratrol
@ all: Man achte auch auf die Diskussionsunterseite des Wikipedia-Eintrags, wo ähnliche kritische Einwände zu finden sind. So schreibt ein Dr. Gerald Schmid etwa: 'Es ist so, dass Resveratrol (fast) alle negativen Wirkungen von zu hoher Nahrungszufuhr und Uebergewicht umkehren kann, obwohl die Versuchstiere (C57BL/6 Maeuse) durch das Resveratrol nicht an Gewicht verlieren. Die normalgewichtigen Tiere profitieren dagegen kaum von Resveratrol, lediglich eine leichte Verbesserung der motorischen Faehigkeiten konnte auch bei diesen Maeusen gezeigt werden.' Welchen Sinn es daher für jüngere, schlanke Menschen oder Otto-Normal-Immortalist machen soll, Resveratrol zu nehmen, habe ich daher von Anfang an nicht verstanden. Schließlich kann man bestimmte lebensverlängernde Effekte ja nicht zweimal erhalten, die sich zudem generell in Grenzen halten und längerfristig auch noch durch kostenlose Lebensstiländerungen erreichbar wären!?